Manfred Riesel • Müssen wir alles glauben, was man uns erzählt?
Kritische Betrachtungen zu Darstellungen in der Kunst - Sein und Schein. 5 Essays
Mit einem Vorwort von Elfriede Jelinek
Welche aktuelle Relevanz kann die Auseinandersetzung mit historischen Kunstwerken bieten? Eine überzeugende Antwort gibt Manfred Riesel mit seinen 'Kritischen Betrachtungen zu Darstellungen in der Kunst - Sein und Schein'.
Da in der vorherrschenden kunstwissenschaftlichen Formanalytik der Erklärungszusammenhang von Person, Zeit und Werk weitgehend ausgeblendet ist (insbesondere das Wirtschaftspolitische der Zeit), bemüht sich der Autor um eine Rekonstruktion der Inhaltsanalyse bei der Erfassung von Kunstwerken. Der kritisch-emanzipatorische Anspruch Manfred Riesels gründet in dem verdrängten ästhetischen Prinzip, daß Schönheit ohne Wahrhaftigkeit nicht ist. Es gilt, das Kunstwerk in und aus seiner historischen, biographischen und gesellschaftspolitischen Kontextualität zu erklären. Mit großer Detailkenntnis und unter Heranziehung umfangreicher Primärquellen reflektiert Manfred Riesel das gesellschaftliche Sein, aus dem die Kunstschaffenden ihre persönliche Bewußtseinslage und künstlerische Motivation herleiten. Der Autor verweigert sich dabei einer gängigen bedingungslosen Bewunderung von Künstlern, die von deren 'Sündenfällen' und ethischen Zweifelhaftigkeiten nichts wissen will.
Ausgehend von den wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeiten der Kunstschaffenden stellt er die Frage nach der Verfügbarkeit der Künstler und kommt zu überraschenden und häufig schmerzhaften Ergebnissen. Nicht wenige der Lichtgestalten der Kunstgeschichte erweisen sich dabei als berechnende und willfährige Handlanger ihrer weltlichen und kirchlichen Auftraggeber. Insbesondere Person und Werk Albrecht Altdorfers muß einer Neubewertung unterzogen werden. Der Schöpfer andachtsvoll heiliger Bilder verweigerte sich nicht seinen Auftraggebern, sondern beteiligte sich persönlich an Hetze und Vertreibung von Täufern und Juden. Manfred Riesel zeigt akribisch die Wurzeln der Diffamierung und Diskriminierung von Frauen, Juden und anderen auf, die als Sündenböcke diversen, nicht selten kirchlich sanktionierten Vernichtungsfeldzügen zum Opfer fielen.
Das Buch ist eine Anklage gegen die affirmative Attitüde des 'Beschweigens und Beschwichtigens' und damit eine Dekonstruktion der demutsvollen Verehrung großer Künstler, wie sie nur allzu oft den wissenschaftlichen Zeitgeist bestimmt.
Aus der Zusammenschau von Kunst- und Sozialgeschichte schafft Manfred Riesel die längst fällige Antithese zu einer Betrachtungsweise, die das vermeintlich Schöne und Erhabene der kritischen Rezeption entzieht. 'Zum Kern des Kunstwerks' will Manfred Riesel vorstoßen. 'Die Emotionen im Kunstwerk aufdecken und mit den eigenen Gefühlen verbinden.' (Klaus Herding). Probleme der Kunst interessieren ihn vor allem. (Werner Hofmann: 'Was mich zur Kunst hinzog, waren ihre Probleme.')
Aber auch die Zeit, in der das Kunstwerk entstand, will er ausleuchten. Er fokussiert die ökonomischen Beunruhigungen und Depressionen, die einen Teufelskreis aus Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, staatlichem Verfall und Krieg auslösen.
Peter Lang, Hardback, mit farbigen Abbildungen, teilweise zum Ausklappen, 276 Seiten