Jutta Reinisch • Poesie der Poesie
Die Randzeichnung des 19. Jahrhunderts seit Runge und Neureuther zwischen Arabeske und Groteske
Teil I: Textband
Die Randzeichnung des 19. Jahrhunderts ist ein Phänomen, das sich eher am Rand dessen bewegt, was sein Name verheißt: Sie ist meist gedruckt, nicht gezeichnet, und sie drängt in kurzer Zeit vom Rand ins Zentrum vor und verdrängt den Text, den sie zu Beginn begleiten sollte. Widersprüche zeichnen die Randzeichnung in ihrer Entwicklung aus. Die verstärkte künstlerische Auseinandersetzung mit der Randzeichnung setzte ein, als 1808 Johann Nepomuk Strixner die Randzeichnungen Albrecht Dürers zum Gebetbuch Kaiser Maximilians I. von 1515 in der neu erfundenen Technik der Lithographie veröffentlichte.
Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts nahmen einzelne Künstler die Anregung auf, aber erst Eugen Napoleon Neureuther (1806–1882) begründete ab 1829 mit seinen „Randzeichnungen zu Goethe’s Balladen und Romanzen“ eine wahre Randzeichnungsmode. Sie sollte einige Jahrzehnte anhalten, bis die Randzeichnungen zunehmend bildartiger wurden und als eigenständige Graphiken ihren Text verloren und bis einzelne Elemente als Zierstücke in die Buchillustration Eingang fanden.
Die Randzeichnung berührt sich mit den bildkünstlerischen Formen und kunsttheoretischen Prinzipien Arabeske, Groteske und Capriccio und ist stilistisch auch von der Umrisslinienmanier des 19. Jahrhunderts beeinflusst. Sie nimmt modifiziert arabeske und groteske Strukturmerkmale und Motive auf. Die vorliegende Arbeit ordnet die Randzeichnung strukturell, kunsttheoretisch und kunsthistorisch in dieses Gefüge ein; sie untersucht zahlreiche Randzeichnungen und stellt sie in den Kontext ihrer Rezeption und der Vorstellungen, die Schriftsteller, Theoretiker und Künstler mit ihr verbanden. Ein Abriss zur Entwicklung von Arabeske und Groteske führt in die Thematik ein. Der Schwerpunkt liegt auf den Randzeichnungen Neureuthers, es werden aber mehrere Randzeichnungspublikationen besprochen, die innerhalb weniger Jahrzehnte erschienen. Dadurch bietet die Arbeit über die Randzeichnung hinaus einen Einblick in die Kunst des 19. Jahrhunderts.
Beiträge zur Kunstwissenschaft (BZK) - Band 91
Scaneg, Paperback, 575 Seiten, "Mängelexemplar"-Stempel auf der Buchunterseite